„Entschuldigen Sie, dass ich Ihnen einen langen Brief schreibe, für einen kurzen habe ich keine Zeit.“ (Fundraising-Weisheit #12)

In die­sem Bei­trag gehe ich von der Erfah­rung aus, dass es ver­hält­nis­mä­ßig viel Zeit benö­tigt, um prä­gnan­te Tex­te zu schrei­ben. Und ich fra­ge mich, ob bzw. was das Out­sour­cing der Text­ar­beit, z.B. an KI-Sys­te­me, dar­an tat­säch­lich ändern kann.

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Ent­schul­di­gen Sie, dass ich Ihnen einen lan­gen Brief schrei­be, für einen kur­zen habe ich kei­ne Zeit.

Die­ses Zitat mag kei­ne tra­di­tio­nel­le Fund­rai­sin­g­weis­heit sein. Mir geht sie aber immer wie­der durch den Kopf, wenn ich Spen­den­brie­fe oder ande­re Tex­te fürs Fund­rai­sing ver­fas­sen muss. For­mu­liert der Satz doch eigent­lich eine Erfah­rung, die vie­le Autor:innen ken­nen dürf­ten. Das kon­zen­trier­te Schrei­ben braucht Zeit. Und Weis­hei­ten sind eben nichts ande­res als Erfahrungswissen.

Das ist der Grund, wes­halb die­ses Zitat immer wie­der ein­mal ange­führt wird. Es wur­de in der Ver­gan­gen­heit ver­schie­de­nen Schriftsteller:innen zuge­schrie­ben: Vol­taire, Mark Twa­in, Johann Wolf­gang zu Goe­the oder Char­lot­te von Stein. Tat­säch­lich stammt es vom Uni­ver­sal­ge­lehr­ten Blai­se Pas­cal (1623–1662) (Krieg­ho­fer, 2017).

Pas­cal schreibt die­se Wor­te am Ende des 16. Brief aus der Pro­vinz (Pas­cal, 1657). Er ist Teil eines fik­ti­ven theo­lo­gisch-phi­lo­so­phi­schen Brief­wech­sels, der wegen sei­ner pro­gres­si­ven und kri­ti­schen Gedan­ken sehr popu­lär wur­de. Fik­ti­on hin oder her. Das Zitat reflek­tiert die grund­sätz­li­che Her­aus­for­de­rung, wel­che das Ver­fas­sen kur­zer und prä­gnan­ter Text­for­men darstellt.

„Laber nicht!“

Die Zeit, die für das Ver­fas­sen eines kur­zen Tex­tes, sei es eines Spen­den­briefs, einer Mar­ke­ting-E-Mail oder auch eines Pos­tings benö­tigt wird, steht in kei­nem pro­por­tio­na­len Ver­hält­nis zu sei­ner begrenz­ten Länge.

Dass sich Pas­cal beim Adres­sa­ten ent­schul­digt, hat sei­nen guten Grund. Eine strin­gen­te Glie­de­rung und ein auf Les­bar­keit bedach­ter Stil machen es der Leser:in leicht, den Gedan­ken und Anlie­gen des Autors zu fol­gen. Lang­at­mi­ges und unstruk­tu­rier­tes Geschrei­be sind dem­ge­gen­über eine Zumu­tung. Prä­gnanz emp­fiehlt sich nicht nur aus Höf­lich­keit. Sie liegt auch im Inter­es­se des Ver­fas­sers. Will er doch, dass sei­ne Gedan­ken und Anlie­gen beim Emp­fän­ger ankommen.

Übung macht den Meister

Rund zehn bis zwölf Spen­den­brie­fe schrei­be ich pro Jahr für diver­se Gemein­den und Pro­jek­te der Evan­ge­li­schen Kir­che und des Dia­ko­ni­schen Werks in Mann­heim. Und das mache ich nun seit 16 Jah­ren. Einer­seits bin ich dadurch über die Zeit immer erfah­re­ner und rou­ti­nier­ter gewor­den. Ich bin stil­si­che­rer und ver­mei­de auto­ma­tisch lan­ge Sät­ze, Fremd­wor­te, Füll­wör­ter und ach­te auf einen Verbalstil.

Auch Hilfs­mit­tel wie das AIDA-(fundraising-evangelisch.de, 2025) oder das PAS-Sche­ma (Widen­house, 2025) hel­fen beim Glie­dern der Tex­te. Das Ziel von Spen­den­brie­fen liegt auf der Hand. So geht es vor allem um das Wie hin­sicht­lich des Call to Action. Es fühlt sich manch­mal fast wie “Malen nach Zah­len” an. Das Gerüst ist vor­ge­ge­ben, es muss nur noch aus­ge­füllt werden.

Beschleunigung durch Outsourcing?!

Doch dabei wird auch die Gefahr deut­lich, die in der Rou­ti­ne liegt. Letz­tens erzähl­te mir ein Kol­le­ge aus einer grö­ße­ren Ein­rich­tung, dass sie ihre Spen­den­brie­fe seit eini­gen Jah­ren — aus Zeit­grün­den — nicht mehr selbst schrei­ben. Das erle­digt inzwi­schen eine Agen­tur. Natür­lich brie­fen sie die Agen­tur hin­sicht­lich der Pro­jek­te. Und sie über­ar­bei­ten alle Ent­wür­fe, die sie von der Agen­tur bekom­men. Denn — so mein Kol­le­ge — die Brie­fe der Agen­tur wir­ken irgend­wie immer gleich. Zudem mer­ke man, dass die Autoren mit den Pro­jek­ten nicht beson­ders ver­traut und ver­bun­den sind.

Ich war ver­sucht zu fra­gen, wes­halb sie dann eine Agen­tur mit dem Schrei­ben von Spen­den­brie­fen betrau­en. Wel­chen Vor­teil hat das noch? Gleich­zei­tig erkann­te ich, dass die Zusam­men­ar­beit mit einer Agen­tur nicht zwangs­läu­fig den Schreib­pro­zess wesent­lich verkürzt.

Meine Zielgruppen und meine Geschichten

Die meis­te Zeit beim Schrei­ben von Spen­den­auf­ru­fen benö­tigt mei­ner Erfah­rung nach die Geschich­te und die Art und Wei­se, mit der ich den Cau­se, den Zweck unse­rer Arbeit, beschrei­be. Ich sau­ge mir da nichts aus den Fin­gern. Ich bit­te unse­re Sozialarbeiter:innen, Pfarrer:innen, Kantor:innen oder ande­re Mitarbeiter:innen in den Pro­jek­ten dar­um, mir ein oder zwei typi­sche Bege­ben­hei­ten aus ihrer Arbeit zu erzäh­len oder zu schreiben.

Für mich geht es in der Fol­ge dar­um, zu über­le­gen, wie ich die Geschich­te wem erzäh­le. Mir die Ziel­grup­pen zu ver­ge­gen­wär­ti­gen, an die ich schrei­be, ist ein bewuss­ter Akt. Anhand der Daten­bank und ein­zel­ner Begeg­nun­gen mit Spender:innen ver­su­che ich mir ein Bild von den Men­schen zu machen, die das jewei­li­ge Pro­jekt unter­stüt­zen. Was weiß ich über sie? Wel­che Moti­ve haben sie? Was inter­es­siert sie? Was scheint sie ästhe­tisch anzu­spre­chen bzw. abzu­schre­cken? Das sind kei­ne nach den Regeln der Kunst erstell­ten Per­so­nas, doch es geht in die­se Richtung.

So klärt sich Schritt um Schritt, wel­che Sto­ry ich wie für mei­ne Ziel­grup­pe erzäh­len möch­te. Das Schrei­ben ist dann vor allem eines: Ein Handwerk.

KI — Ein neues Schreibwerkzeug in der Federtasche

Kürze diesen Brief auf einen Briefbogen. Alle wesentlichen Themen sollen benannt werden. Korrigiere den Text und verbessere die Lesbarkeit für meinen 60jährigen Freund, den Landpfarrer.

Die­ser Prompt in einem LLM hät­te Blai­se Pas­cal wahr­schein­lich sei­ne Ent­schul­di­gung erspa­ren kön­nen. In Win­des­ei­le hät­ten ChatGPT, Mis­tral AI und Co. den schnell und viel zu lang geschrie­be­nen Brief zurechtgestutzt.

Gene­ra­ti­ve KIs, soge­nann­te Lar­ge Lan­guage Modells (LLM), ver­än­dern aktu­ell her­kömm­li­che Pro­zes­se der Text­pro­duk­ti­on. Sie haben auch Ein­fluss auf die damit zusam­men­hän­gen­den krea­ti­ven Pro­zes­se. Die von den Sys­te­men rasend schnell geschrie­be­nen Tex­te ver­hei­ßen, die Pro­zes­se der Text­pro­duk­ti­on enorm zu beschleu­ni­gen und Zeit einzusparen.

Korrigieren und Redigieren

Tat­säch­lich kön­nen die LLMs das Schrei­ben von Spen­den­brie­fen erleich­tern — fin­de ich. Das Kor­ri­gie­ren und Redi­gie­ren mit LLMs ist defi­ni­tiv kom­for­ta­bel und ein­fach zu bewerk­stel­li­gen. Die Les­bar­keit von Tex­ten lässt sich schnell ver­bes­sern. Das kann zudem mit Blick auf Ziel­grup­pen geschehen.

Hilfe beim Kreieren

Gute Erfah­run­gen habe ich damit gemacht, aus­ge­hend von einer Fall­ge­schich­te, einen ers­ten Ent­wurf für einen Spen­den­brief schrei­ben zu las­sen. Ent­schei­dend für das Ergeb­nis dabei ist, dass man beim Promp­ten so viel Kon­text wie mög­lich zum Pro­jekt, der Ein­rich­tung, dem Anlass, der Rol­le des Ver­fas­sers mitgibt.

So ent­ste­hen ers­te Fas­sun­gen, die ich gege­be­nen­falls in einem wei­te­ren Dia­log mit dem LLM noch ver­än­de­re. Alle wei­te­ren Über­ar­bei­tun­gen ent­ste­hen auf her­kömm­lich manu­ell-mensch­li­che Weise.

Für die Betreff­zei­le und das PS kann las­se ich mir ger­ne von der KI drei Vor­schlä­ge machen. Bis­lang habe ich kei­ne davon über­nom­men. Doch die Vor­schlä­ge dien­ten als Hin­wei­se, in wel­che Rich­tung es gehen könnte.

Schnelles Adaptieren

LLMs sind mei­nes Erach­tens auch sehr hilf­reich dabei, fer­ti­ge Tex­te für ande­re Zwe­cke oder in ande­re Text­sor­ten anzu­pas­sen. Schnell kann aus einem Spen­den­brief ein E‑Mailing gene­riert wer­den. Die Text­län­ge wird auto­ma­tisch ange­passt. Die Tona­li­tät wird dring­li­cher und der Call-to-Action-Link an der rich­ti­gen Stel­le posi­tio­niert. Und falls einem das AIDA-Sche­ma nicht passt, kann man den Ent­wurf schnell ins PAS-Sche­ma umstellen.

Auch eine Du-Ver­si­on von einem Text zu erstel­len, der ursprüng­lich mit for­ma­ler Anre­de geschrie­ben war, ist mit einer Ein­ga­be erledigt.

Dank­brie­fe sind im Moment mein liebs­ter Anwen­dungs­fall. Einen pas­sen­den Dank­text zu den Spen­den­auf­ru­fen zu erstel­len, erfor­dert nur den Spen­den­brief und zwei oder drei Prompts. Hier haben LLMs für mich tat­säch­lich eine deut­li­che Arbeits­be­schleu­ni­gung gebracht. Die­se glei­cher­ma­ßen wich­ti­ge wie von mir manch­mal unge­lieb­te Arbeit erle­di­ge ich jetzt tat­säch­lich unmit­tel­bar nach der Fer­tig­stel­lung des Spendenaufrufs.

Prüfet alles, das Gute behaltet

Bei alle­dem gilt aber, dass die Ergeb­nis­se der LLMs geprüft wer­den soll­ten. Zum einen schlei­chen sich manch­mal doch Feh­ler ein. Dop­pe­lun­gen wer­den manch­mal nicht erkannt. Aber auch durch das Modell ein­ge­füg­te Fak­ten, soll­ten min­des­tens auf Plau­si­bi­li­tät hin geprüft wer­den. Ein­mal ließ ich z.B. die Ent­fer­nung von Mann­heim und Heil­bronn in einen Text ein­fü­gen. Statt der rund 80 km wur­den gut 90 km ange­ge­ben. Beim Lesen brach­te mich ein Stör­ge­fühl dazu, den Wert nachzuprüfen.

Auch sprach­lich behal­te ich mir das letz­te und auch das vor­letz­te Wort vor. Nur so kann ich genau­er auf mei­ne Ziel­grup­pen ein­ge­hen und den Stil indi­vi­du­ell hal­ten. Ansons­ten lan­den wir auch mit den KI-Model­len da, wo der Kol­le­ge, von dem ich oben schrieb, schon mit den Ent­wür­fen der Agen­tur war: In der Beliebigkeit.

Schneller? Vielleicht.
- Einfacher? Sicher!

Trotz des Ein­sat­zes von LLMs bleibt der Aus­spruch von Blai­se Pas­cal aktu­ell. Es bedarf eines gerüt­telt Maß an Zeit, um einen kur­zen und les­ba­ren Spen­den­brief zu schrei­ben. All die kon­kre­ten Bezü­ge zur mensch­li­chen Wirk­lich­keit, sei­en es Anek­do­ten aus dem Pro­jekt, die Situa­ti­on unse­rer Orga­ni­sa­tio­nen oder die Erfah­run­gen mit unse­ren Spender:innen müs­sen wir selbst bei­tra­gen und ein ers­tes Mal for­mu­lie­ren — und sei es als Prompt in einem LLM.

Ob der Ein­satz von LLMs die Text­pro­duk­ti­on im Fund­rai­sing deut­lich beschleu­nigt hat, kann ich im Moment objek­tiv nicht beur­tei­len. Der Fak­tor Mensch wird aktu­ell nicht zurück­ge­fah­ren geschwei­ge denn aus­ge­schal­tet. Dass es sich viel­leicht manch­mal schnel­ler anfühlt, mag an einem ande­ren Umstand lie­gen: KI macht eini­ges beim Tex­ten weni­ger mühe­voll und leichter.

 

Quellen

fundraising-evangelisch.de. 2025. „AIDA-Regel im Fund­rai­sing“. Fund­rai­sing Evan­ge­lisch. 2025. https://www.fundraising-evangelisch.de/aida.

Krieg­ho­fer, Gerald. 2017. „ZITATFORSCHUNG: ‚Lie­ber Freund, ent­schul­di­ge mei­nen lan­gen Brief, für einen kur­zen hat­te ich kei­ne Zeit.‘ Char­lot­te von Stein (angeb­lich)“. ZITATFORSCHUNG (blog). 9. Novem­ber 2017. https://falschzitate.blogspot.com/2017/11/lieber-freund-entschuldige-meinen.html.

Pas­cal, Blai­se. 1657. Les pro­vin­cia­les; ou, Les lett­re ecri­tes par Lou­is de Mon­tal­te à un pro­vin­cial de ses amis et aux rr. pp. jésui­tes: sur le sujet de la mon­de et de la poli­tique de ces pères. Paris F. Didot frè­res. http://archive.org/details/lesprovinciales00pasc.

Widen­house, Kathy. 2025. „The PAS Copy­wri­ting For­mu­la: The Best For­mat for Short Form Con­tent“. Non­pro­fit Copy­wri­ter. 31. März 2025. http://www.nonprofitcopywriter.com/PAS-copywriting-formula.html.

Bildnachweis

Foto von Bru­no Mar­tins auf Uns­plash

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