“1. Weihnachten 2. Weihnachten 3. Weihnachten” (Fundraising-Weisheit #8)

Die Zeit vor Weih­nach­ten ist Spen­den­hoch­sai­son. Kaum eine Orga­ni­sa­ti­on kann es sich leis­ten, hier kei­ne Spen­den­kam­pa­gne zu fah­ren. Doch war­um ist das so? Und war das immer schon so?

Lese­dau­er 6 Minu­ten

Ein alter Fund­rai­sin­gka­lau­er geht so:

“Fra­ge: Wel­ches sind die drei bes­ten Zeit­punk­te im Jahr für eine Spendenbriefaktion?

Ant­wort:  1. Weih­nach­ten 2. Weih­nach­ten 3. Weihnachten”

Weis­hei­ten sind Erfah­rungs­wis­sen. Und die­se Fund­rai­sin­gweis­heit ist von Erfah­rung gesät­tigt. Ein Blick auf die ein­schlä­gi­gen Ergeb­nis­se der Bilanz des Hel­fens 2019 (Deut­scher Spen­den­rat e.V. 2019, S.11) ver­deut­li­chen das. Gut 31% des dort erho­be­nen jähr­li­chen Spen­den­auf­kom­mens  von Pri­vat­per­so­nen [1] wer­den dem­nach in den Mona­ten Novem­ber und Dezem­ber (davon: 20,5%) ein­ge­nom­men.
Bei den Ein­zel­han­dels­um­sät­zen ist es ähn­lich. Hier wer­den im Ein­zel­han­del 19% des Jah­res­um­sat­zes in den letz­ten zwei Mona­ten gemacht (desta­tis 2019).

Doch war­um ist das so? Und war das immer schon so? Wir dür­fen davon aus­ge­hen, dass es sich um erlern­tes  und tra­dier­tes Ver­hal­ten han­delt. Ein Ver­hal­ten, das sicher­lich wie­der ver­än­dert wer­den kann. Aktu­ell kön­nen wir beob­ach­ten, wie sich im Han­del durch das Bewer­ben von Shop­ping­ta­gen wie dem Black Fri­day und dem Cyper­mon­day die Umsät­ze vom Dezem­ber in den Novem­ber vor­ver­la­gern (Schä­fer 2019).

Im Wind­schat­ten die­ser Ent­wick­lung wird ver­sucht, den Giving Tues­day als neu­en Spen­den­ter­min zu eta­blie­ren. Die­se Akti­ons­ta­ge kom­men aus Nord­ame­ri­ka und ste­hen zeit­lich und kul­tu­rell im Zusam­men­hang mit dem dor­ti­gen Thanksgiving-Fest.

Was das Spen­den am Weih­nachts­fest in Deutsch­land angeht, bin ich bei mei­ner Suche im wesent­li­chen auf fol­gen­de Aspek­te gestoßen.

Weihnachten ist das Fest der Gabe

Das The­ma Gabe und Geschenk ist wesent­li­cher Inhalt des Weih­nachts­fests. An Weih­nach­ten fei­ert die Chris­ten­heit, dass Gott Mensch wur­de, er der Welt sei­nen Sohn, Jesus Chris­tus, geschenkt hat. Dem neu­ge­bo­re­nen Kind wer­den gemäß dem Mat­thä­us­evan­ge­li­um (Mt 2,11) Gold, Weih­rauch und Myr­rhe von den drei Wei­sen aus dem Mor­gen­land geschenkt.

Vir­gin and Child, from an Ado­ra­ti­on Group, ca. 1515–20, The Metro­po­li­tan Muse­um of Art, New York

Der Sozio­lo­ge Hel­muth Ber­king erläu­tert mit Ver­weis auf Fried­rich Gedi­ke, dass erst ab 336 n.Chr. das Weih­nachts­fest kirch­li­cher­seits gefei­ert wur­de. Es wur­de auf den 25.12. gelegt, das Datum des römi­schen Fes­tes der Win­ter­son­nen­wen­de, des Fes­tes des sol invic­tus. Auch hier­bei gab es die Tra­di­ti­on des Beschen­kens. Die Kin­der wer­den an Weih­nach­ten par­al­lel zum Jesus­kind beschenkt (Ber­king 1996, 35f.).

Wäh­rend im 16. Jahr­hun­dert durch die Refor­ma­ti­on das Christ­kind als Geschen­ke brin­gen­de Per­son ein­ge­führt wur­de, mutier­te katho­li­scher­seits Niko­laus bis zum 19. Jahr­hun­dert zum schen­ken­den Weih­nachts­mann (Ber­king 1996, 36.).

Mit dem seit dem 19. und Anfang des 20. Jahr­hun­derts nun weit ver­brei­te­ten Schen­ken an Weih­nach­ten ging das Geben von Almo­sen an Bedürf­ti­ge ein­her. Damit sind  ver­schie­de­ne Moti­ve ver­bun­den. In den Fami­li­en geht es  um die regel­mä­ßi­ge Erneue­rung bzw. Siche­rung des sozia­len Zusam­men­halts. Gegen­über Armen spielt ange­sichts der eige­nen pri­vi­le­gier­ten sozia­len Situa­ti­on, wel­che als Frucht gött­li­cher Gna­de emp­fun­den wird, der Gedan­ke des Aus­gleichs eine Rol­le (West­hoff u. West­hoff 2013).

Weih­nachts­ge­schen­ke und Spen­den an Weih­nach­ten sind so etwas wie Geschwis­ter. Sie sind z.T. aus den glei­chen Gedan­ken geboren.

Es geht um spi­ri­tu­el­le Dank­bar­keit und sozia­len Zusam­men­halt. Bei aller berech­tig­ter Kri­tik am Kon­su­me­ris­mus scheint die Ver­mu­tung nicht weit her­ge­holt zu sein, dass es ohne den Weih­nachts­kon­sum kei­ne Weih­nachts­spen­den gäbe.

Jahresende ist Bilanzzeit

Das Schen­ken und Spen­den am Jah­res­en­de rund um die Win­ter­son­nen­wen­de und den 6. Janu­ar hat seit lan­ger Zeit eine reli­giö­se Grun­die­rung. Zugleich war und ist das Jah­res­en­de bis heu­te der Zeit­raum, an dem per­sön­lich und im Geschäfts­le­ben Bilanz gezo­gen wird. So war es bereits wäh­rend der römi­schen Fest­zeit der Satur­na­li­en, in wel­che das o.g. Fest des sol invic­tus am 25.12. fiel. Hier wur­de nach Abschluss der Win­ter­aus­saat das Ende des land­wirt­schaft­li­chen Jah­res gefei­ert (Wiki­pe­dia 2019). Und auch die isla­mi­sche Zakat, die sog. Armen­steu­er, wird am Ende des (isla­mi­schen Mond-) Jah­res fäl­lig und sorgt für eine Ver­tei­lung des Erfolgs in Form von Almo­sen für die Armen (Isla­mic Reli­ef Deutsch­land 2020).

Schen­ken und Spen­den am Ende des Jah­res schei­nen somit kul­tur­über­grei­fend die Funk­ti­on zu haben, den Über­schuss eines Jah­res zum Zwe­cke des sozia­len Zusam­men­halts zu ver­tei­len, sei es in der unmit­tel­bar nahen Fami­lie, sei es in fer­ne­ren Zusam­men­hän­gen und im Gemeinwesen.

Seit Ende der 50er Jahre: Weihnachten als Spendenhochzeit

Dass es im Novem­ber und Dezem­ber die bekann­te “Mai­ling­flut” gibt, auf die sich unse­re Fund­rai­sing-Weis­heit ja bezieht, hat viel mit den wirt­schaft­li­chen, recht­li­chen und tech­ni­schen Ent­wick­lun­gen ab Ende der 50er Jah­re zu tun.

Eröff­nung von Brot für die Welt 1959 (Von “Brot für die Welt” by CC BY-SA)

Am 12. Dezem­ber 1959, mit­ten im deut­schen Wirt­schafts­wun­der, star­te­te die ers­te Sam­mel­ak­ti­on von Brot für die Welt. Inspi­riert von der Anfang 1958 erfolg­rei­chen ers­ten Samm­lung des katho­li­schen Hilfs­werk Mise­re­or soll­te Brot für die Welt als ein­ma­li­ge Maß­nah­me anläss­lich einer aku­ten Hun­gers­not in Indi­en durch­ge­führt wer­den. Auf­grund der enor­men Reso­nanz wur­de dar­aus eine jähr­lich im Dezem­ber wie­der­hol­te Kam­pa­gne (Brot für die Welt 2018, 4).

Ich muss hier offen las­sen, ob die­se Akti­on von Brot für die Welt his­to­risch gese­hen tat­säch­lich den Beginn der moder­nen deutsch­land­wei­ten Weih­nachts­spen­den­ak­tio­nen mar­kiert. Adve­ni­at folg­te zwei Jah­re spä­ter. Auch die Samm­lun­gen des Kin­der­mis­si­ons­werks “Die Stern­sin­ger” star­te­ten 1959 (Wiki­pe­dia 2020).

Klar ist, dass Ende der 50er und Anfang der 60er Jah­re die Weih­nachts­zeit durch die­se kirch­li­chen Aktio­nen deut­lich als Spen­den­kam­pa­gnen­zeit­raum ent­wi­ckelt wurde.

1966: Altes Sammlungsgesetz wird vom BVG gekippt

Ende der 50er Jah­re bis 1966 waren Spen­den­brief­ak­tio­nen meist durch staat­li­che Behör­den zu geneh­mi­gen. Aus­ge­nom­men von die­ser Vor­schrift waren Mit­glie­der­or­ga­ni­sa­tio­nen, also auch die Kir­chen, die bei ihren Mit­glie­dern um Spen­den baten (Lin­gel­bach 2009, 163f.). Die­se hat­ten den Vor­teil von umfang­rei­chen Mit­glie­der­kar­tei­en und einer flä­chen­de­cken­den Orga­ni­sa­ti­on. Die Spen­den­auf­ru­fe wur­den auf Gemein­de­ebe­ne über die Gemein­de­brie­fe samt Sam­mel­tü­ten in alle Haus­hal­te ver­teilt (Lin­gel­bach 2009, 161f.).

Die­se Spen­den­brie­fe waren man­gels tech­ni­scher Mög­lich­kei­ten jener Zeit unper­so­na­li­siert. Gabrie­le Lin­gel­bach weist in ihrer Geschich­te des west­deut­schen Spen­den­markts dar­auf hin, dass etwai­ge Por­to­kos­ten für Mas­sen­mai­lings sei­ner­zeit nur von gro­ßen Orga­ni­sa­tio­nen getra­gen wer­den konn­ten.  Allein Unter­neh­mer, nament­lich bekann­te ver­mö­gen­de Per­so­nen und Spen­der sowie Fir­men und Ban­ken erhiel­ten per­sön­lich adres­sier­te Brie­fe (Lin­gel­bach 2009, 163).

Am 3. Mai 1966 erklär­te das Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt das Samm­lungs­ge­setz von 1934 für ver­fas­sungs­wid­rig und nich­tig, weil es dem Wesen nach tota­li­tär war. Damit ent­fiel von einem auf den ande­ren Tag der Geneh­mi­gungs­vor­be­halt des Staa­tes für bestimm­te Samm­lungs­for­men, d.h. auch für den Spen­den­brief. Allein Bay­ern und Nord­rhein-West­fa­len hat­ten vor­sorg­lich eige­ne Lan­des­ge­set­ze geschaf­fen (Lin­gel­bach 2009, 251f.). Recht­lich war damit der Weg für (auch weih­nacht­li­che) Mas­sen­mai­lings durch alle mög­li­chen Orga­ni­sa­tio­nen geebnet.

70er/80er: Datenbanken, PCs und Laserdrucker

Tech­nisch wur­den Mas­sen­mai­lings durch die Fort­schrit­te in der Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie immer leich­ter rea­li­sier­bar. Ab Ende der 1960er Jah­re pro­fes­sio­na­li­sier­te sich das Adress­bro­king in Deutsch­land, was die ziel­ge­naue­re Ver­brei­tung von (unper­so­na­li­sier­ten) Post­wurf­sen­dun­gen ermög­lich­te (Lin­gel­bach 2009, 318f.).

Apple II (Von Rama & Musée Bolo, modi­fied by Neon­Ze­ro, CC BY-SA 2.0 fr)

Zur glei­chen Zeit, d.h. um 1970, wur­den die ers­ten rela­tio­na­len Daten­bank­sys­te­me ent­wi­ckelt (1&1 IONOS SE 2019), wovon das Adress­ma­nage­ment pro­fi­tiert hat. Mit dem Auf­kom­men der Per­so­nal Com­pu­ter ab 1977 (Apple II) bzw. 1982 (IBM PC) (Wiki­pe­dia 2020a) konn­ten die sam­meln­den Orga­ni­sa­tio­nen Adress- und Spen­der­da­ten selb­stän­dig elek­tro­nisch verarbeiten.

Die etwa zeit­glei­che Ein­füh­rung kom­mer­zi­el­ler Laser­dru­cker (Hol­land 2011, S.3) (1976: IBM 3800, 1977: Xerox 9700) ermög­lich­te in der Fol­ge die mas­sen­wei­se  Per­so­na­li­sie­rung von Spen­den­brie­fen. Die­se Inno­va­ti­on gab dem gesam­ten Direkt­mar­ke­ting einen enor­men Auf­schwung. Das gol­de­ne Zeit­al­ter des Spen­den­mai­lings hat­te begon­nen. Fort­an konn­ten zu Weih­nach­ten mas­sen­wei­se und zuneh­mend güns­tig Spen­den­brie­fe ver­schickt werden.

Fazit

Spen­den an Weih­nach­ten sind im Prin­zip Weih­nachts­ge­schen­ke. Seit Weih­nach­ten gefei­ert wird, wer­den wohl anläss­lich die­ses Fes­tes Almo­sen gege­ben. Die­se Tra­di­ti­on ist alt, und sie ist in Tei­len älter als das Fest selbst. Doch dass Weih­nach­ten in Deutsch­land zur Haupt­spen­den­zeit pri­va­ter Haus­hal­te  wur­de, scheint — soweit man das ohne Ver­gleichs­zah­len aus den Jahr­zehn­ten und Jahr­hun­der­ten davor sagen kann — ein recht jun­ger Umstand zu sein. Die Kam­pa­gnen kirch­li­cher Hilfs­wer­ke in der Wirt­schafts­wun­der­zeit haben Weih­nach­ten zur bevor­zug­ten Spen­den­zeit gemacht, bis heute.

Anmerkungen und Quellen

[1] “Nicht ent­hal­ten sind Erb­schaf­ten und Unter­neh­mens­spen­den, Spen­den an poli­ti­sche Par­tei­en und Orga­ni­sa­tio­nen und gericht­lich ver­an­lass­te Geld­zu­wen­dun­gen, Stif­tungs­neu­grün­dun­gen und Groß­spen­den über 2.500 €.” (Deut­scher Spen­den­rat e.V. 2019, S.4).

(1&1 IONOS SE. 2019) 1&1 IONOS SE. 2019. „Daten­ban­ken: Wozu man sie braucht und wel­che Arten es gibt“. IONOS Digi­tal­gui­de. 3. Sep­tem­ber 2019. https://www.ionos.de/digitalguide/hosting/hosting-technik/datenbanken/.

[(Ber­king 1996) Hel­muth Ber­king: “Schen­ken. Zur Anthro­po­lo­gie des Gebens”, Frankfurt/New York (Cam­pus), 1996.

(Brot für die Welt 2018) Brot für die Welt, Hrsg. 2018. Didak­ti­scher Bau­stein und Über­sicht. Bd. 1. Ber­lin, https://www.brot-fuer-die-welt.de/fileadmin/mediapool/60_Jahre/Dossier_Schwerpunkt_Heft_01.pdf.

(Deut­scher Spen­den­rat e.V. 2019) Deut­scher Spen­den­rat e.V. 2019. „Bilanz des Hel­fens 2019“. Deut­scher Spen­den­rat e.V. (blog). 27. Febru­ar 2019. https://www.spendenrat.de/wp-content/uploads/2019/02/Bilanz_des_Helfens_2019.pdf.

(desta­tis 2019) Sta­tis­ti­sches Bun­des­amt: “Pres­se­mit­tei­lung Nr. 49 vom 3. Dezem­ber 2019”, https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/Zahl-der-Woche/2019/PD19_49_p002.html.

(Hol­land 2011) Hol­land, Hein­rich. 2011. Direkt­mar­ke­ting: Im Dia­log mit dem Kun­den. 3. Aufl. Mün­chen: Vahlen.

(Isla­mic Reli­ef Deutsch­land 2020) Isla­mic Reli­ef Deutsch­land. 2020. „Zakat- Isla­mic Reli­ef Deutsch­land“. 2020. https://www.islamicrelief.de/zakat/.

(Lin­gel­bach 2009) Lin­gel­bach, Gabrie­le. 2009. Spen­den und Sam­meln: der west­deut­sche Spen­den­markt bis in die 1980er Jah­re. Moder­ne Zeit, Bd. 18. Göt­tin­gen: Wallstein.

(Schä­fer 2018) Fabi­an Schä­fer: “Das Weih­nachts­ge­schäft beginnt bereits am Black Fri­day”, https://onlinemarketing.de/news/weihnachtsgeschaeft-black-friday.

(West­hoff u. West­hoff 2013) Andrea und Jus­tin West­hoff: Kul­tur­ge­schich­te des Gebens und Neh­mens, https://www.deutschlandfunk.de/geschenke-und-gefaelligkeiten-kulturgeschichte-des-gebens.1148.de.html?dram:article_id=270077, 26.12.2013.

(Wiki­pe­dia 2019) „Satur­na­li­en“. 2019. In Wiki­pe­dia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Saturnalien&oldid=195166642.

(Wiki­pe­dia 2020)  „Stern­sin­ger“. 2020. In Wiki­pe­dia. https://de.wikipedia.org/w/index.php?title=Sternsinger&oldid=195436892.

(Wiki­pe­dia 2020a) „IBM Per­so­nal Com­pu­ter – Wiki­pe­dia“. 2020. In Wiki­pe­dia. https://de.wikipedia.org/wiki/IBM_Personal_Computer.

 

Titel­bild: © Mar­kus Sch. auf pixabay.com

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